Zunächst habe ich die ecuatorianische Sicht der Dollarisierung im Jahr 2000 erfahren. Bisher hielt ich diese für die Lösung der wirtschaftlichen Probleme und der Inflation Ende der 90er. Doch Marcelo hat mir erzählt, dass im Zuge der Währungsreform der Umtauschkurs von Sucre auf Dollar nur gut 20% des vorherigen Wertes war. Somit haben die Leute fast 80% ihres Ersparten verloren. Ebenso durfte 1 Jahr lang kein Guthaben von den Banken abgehoben werden. Somit verfügten die Leute über kein Geld um Dinge zu kaufen, worunter die gesamte Wirtschaft natürlich gelitten hat. Viele lokale kleine Banken sind bankrott gegangen – wer Pech hatte und sein Geld dort angelegt hatte, hat alles verloren. Die ausländischen Großunternehmen hingegen haben 2 Tage Vorwarnzeit bekommen und konnten den größten Teil ihres Geldes vorher außer Landes schaffen. Es war eine harte Zeit und viele hegen den Wunsch in Zukunft wieder eine eigene Währung zu haben. Der Präsident, der die Währungsumstellung zu verantworten hatte, wurde übrigens aus dem Land gejagt.
Die Präsidenten teilen übrigens ein gemeinsames Schicksal: vor dem aktuellen Präsidenten Correa hat es in den Jahrzenten davor kein Präsident geschafft, eine Amtsperiode zu Ende zu führen. Correa ist inzwischen in seiner dritten Periode. Lange konnte ich nicht verstehen, warum er trotzdem so unbeliebt ist. Fast jeder mit dem ich sprach, sagte mir „ja er hat viel Gutes getan, aber eigentlich mögen wir ihn nicht“.
Denn die Verbesserungen im Land sind – gemessen an
europäischen Politikern – überwältigend: Der Straßenbau wurde massiv voran
getrieben. Es gibt mehr Straßenverbindungen als früher und sie sind in sehr
gutem Zustand. Die Infrastruktur Ecuadors ist bedeutend besser als im
südamerikanischen Ausland.
Ferner wurde das Bildungssystem revolutioniert. Früher
hatten die meisten Lehrer 3 oder sogar 4 Jobs und rotierten täglich zwischen
mehreren Schulen, da auch die Schulzeiten sich über den ganzen Tag verteilen
konnten. Die Schulbücher waren aus den 60ern. Heute ist Schule immer
vormittags, die Regierung bestimmt, zu welcher Schule ein Schüler geht und auch
an welcher Schule ein Lehrer arbeitet. Gleichzeitig wurde das Gehalt
verbessert. Schulbücher wurden neu angeschafft und sind heute umsonst. Ein
gravierender Nachteil jedoch ist, dass es Eignungstests fürs Studium gibt, die nicht
nur entscheiden, ob man studieren darf, sondern auch WAS! Wenn der Fragebogen
ergibt, dass man Lehrer werden sollte, dann MUSS man Lehramt studieren. Nur
wenn man an eine private Hochschule geht (welche natürlich teuer ist) kann man
frei wählen. Das sorgt natürlich für extremen Verdruss bei den Leuten. Der
Beruf des Lehrers wurde jedoch stark aufgewertet und ist heute einer der
bestbezahltesten im Land.
Weitere Reformen wurden bei der Polizei vergenommen: Früher verdienten
Polizisten sehr wenig und haben sich durch Korruption ihr Gehalt aufgebessert
(z.B. willkürliche Verkehrsstrafen). Correa hat das Mindestgehalt von $380 auf
$800 mehr als verdoppelt, dafür aber einige Privilegien gestrichen. Dies führte
übrigens 2010 zu einer beängstigenden Eskalation. Weil viele in der Polizei
ungebildet waren, etliche sogar nicht einmal lesen konnten, glaubten sie
Gerüchten der Opposition, dass sie vom Präsidenten mit dem neuen Gesetz
übervorteilt würden, und als dieser sich zu einer Kundgebung bei ihnen befand,
wurde er von der Polizei als Geisel genommen. Erst eine militärisch
Eingreiftruppe konnte ihn später gewaltsam befreien. Bei diesem Ereignis,
welches heute als 30-S „treinta-Esse“ (30.September) bekannt ist, starben 5 Personen.
Letztendlich wurde das Gesetz verabschiedet und die Aufnahmebedingungen für Polizisten
extrem verschärft (und 250 korrupte entlassen), sodass die Polizei heute
wesentlich professioneller ist.
Weitere Änderungen betrafen das Gesundheitssystem: viele
Dienstleistungen besonders für Arme sind heute umsonst – selbst Operationen von
mehreren 1000 Dollar müssen nicht bezahlt werden, Medikamente sind frei.
Das Geld für all das (denn in Ecuador beträgt die Steuer nur
12%) kommt daher, dass die Steuer heute wesentlich stringenter eingetrieben wird
– und zwar besonders von den Reichen und Großunternehmen. Viele internationale
Konzerne haben früher eine doppelte Buchführung betrieben und einen speziellen
Report für Steuerzwecke erstellt. Der sah natürlich immer so aus, dass kaum
Steuer fällig wurde. Dies hat die Regierung unter Correa geändert und viele
Unternehmen des Landes verwiesen (wie z.B. den Chevron Konzern, mit dem heute
noch gerichtliche Auseinandersetzungen über Milliardenzahlungen laufen).
Und schließlich noch eine Neuerung – interessant besonders
im Lichte der aktuellen Diskussion um Managergehälter: Als aller erstes Gesetz
(noch am Tag seiner Vereidigung) wurde ein Gesetz verabschiedet, welches
besagt, dass absolut niemand im Lande ein höheres Gehalt als der Präsident
verdienen darf. Das zweite Gesetz lautete: Das Präsidentengehalt wird ab sofort
halbiert und beträgt heute $4000 pro Monat. So was ist konsequent.
Was die Leute bei all diesen Verbesserungen jedoch
beunruhigt ist, dass die Macht des Präsidenten wächst und sie diktatorische
Verhältnisse befürchten. Der Einfluss der Regierung auf die Medien ist sehr
stark (Erinnerungen an Italien werden wach). Es gab Vorkommnisse von
Medienschließungen bei „unpassender“ Berichterstattung. Und jeder Radio- und
Fernsehsender ist verpflichtet jeden Samstag eine Ansprache des Präsidenten zu
übertragen. Viele erwarten auch eine Verfassungsänderung, die eine bisher
ausgeschlossene vierte Amtszeit ermöglicht.
Interessant ist auch, dass Ecuador unter Correa den USA die
Stirn geboten hat. Sie haben ja Julian Assange die Staatsbürgerschaft gewährt
(beinahe auch Snowden) und sogar den amerikanischen Botschafter des Landes
verwiesen.
Eigentlich wollte ich auch noch was zur Geschichte
geschrieben haben, aber ich will den Artikel nicht überstrapazieren ;)
2 Kommentare:
Hallo
deine Abhandlung ist sehr interessant! Man hat ja sonst kaum eine Chance solche Dinge aus erster Hand zu erfahren.
Gehst du jetzt in Banos zur Schule oder ist das unterbrochen?
Wohnst du da auch privat?
Weiter schöne Tage in Ecuador..
Beste Grüße Papa
Hi,
ja ich bin weiter täglich in einer Sprachschule. Marcelo ist mein Lehrer dort. Und ich bin auch wieder bei einer Familie. Es ist ein recht junges Paar mit 3 erwachsenen Kindern im Haus. Da habe ich wirklich Glück, das ist eine super Konstellation. Es sind übrigens alle Zeugen Jehovas und da gab es schon ein paar interessante Diskussionen ;) Wenn das Internet wieder besser funktionieren sollte, lade ich noch ein paar Artikel und Bilder hoch demnächst.
Grüße und bis bald,
Jens
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