Donnerstag, 14. November 2013

Politik in Ecuador

In der Sprachschule erfahre ich unheimlich viel über die Geschichte, Kultur und Politik Ecuadors. Mein Lehrer erzählt täglich stundenlang – zuerst war ich etwas enttäuscht, dass wir keine neue Grammatik oder Übungen machen, aber inzwischen zahlt sich das aus: mein Hörverständnis hat sich nochmals deutlich verbessert. Ich verstehe deutlich über 90% was er sagt auf Anhieb, nur einige Wörter müssen manchmal erklärt werden. Und das obwohl das Tempo zwar nicht schnell aber auch nicht speziell langsam ist. Aber nun zu Ecuador:

Zunächst habe ich die ecuatorianische Sicht der Dollarisierung im Jahr 2000 erfahren. Bisher hielt ich diese für die Lösung der wirtschaftlichen Probleme und der Inflation Ende der 90er. Doch Marcelo hat mir erzählt, dass im Zuge der Währungsreform der Umtauschkurs von Sucre auf Dollar nur gut 20% des vorherigen Wertes war. Somit haben die Leute fast 80% ihres Ersparten verloren. Ebenso durfte 1 Jahr lang kein Guthaben von den Banken abgehoben werden. Somit verfügten die Leute über kein Geld um Dinge zu kaufen, worunter die gesamte Wirtschaft natürlich gelitten hat. Viele lokale kleine Banken sind bankrott gegangen – wer Pech hatte und sein Geld dort angelegt hatte, hat alles verloren. Die ausländischen Großunternehmen hingegen haben 2 Tage Vorwarnzeit bekommen und konnten den größten Teil ihres Geldes vorher außer Landes schaffen. Es war eine harte Zeit und viele hegen den Wunsch in Zukunft wieder eine eigene Währung zu haben. Der Präsident, der die Währungsumstellung zu verantworten hatte, wurde übrigens aus dem Land gejagt.

Die Präsidenten teilen übrigens ein gemeinsames Schicksal: vor dem aktuellen Präsidenten Correa hat es in den Jahrzenten davor kein Präsident geschafft, eine Amtsperiode zu Ende zu führen. Correa ist inzwischen in seiner dritten Periode. Lange konnte ich nicht verstehen, warum er trotzdem so unbeliebt ist. Fast jeder mit dem ich sprach, sagte mir „ja er hat viel Gutes getan, aber eigentlich mögen wir ihn nicht“.

Denn die Verbesserungen im Land sind – gemessen an europäischen Politikern – überwältigend: Der Straßenbau wurde massiv voran getrieben. Es gibt mehr Straßenverbindungen als früher und sie sind in sehr gutem Zustand. Die Infrastruktur Ecuadors ist bedeutend besser als im südamerikanischen Ausland.
Ferner wurde das Bildungssystem revolutioniert. Früher hatten die meisten Lehrer 3 oder sogar 4 Jobs und rotierten täglich zwischen mehreren Schulen, da auch die Schulzeiten sich über den ganzen Tag verteilen konnten. Die Schulbücher waren aus den 60ern. Heute ist Schule immer vormittags, die Regierung bestimmt, zu welcher Schule ein Schüler geht und auch an welcher Schule ein Lehrer arbeitet. Gleichzeitig wurde das Gehalt verbessert. Schulbücher wurden neu angeschafft und sind heute umsonst. Ein gravierender Nachteil jedoch ist, dass es Eignungstests fürs Studium gibt, die nicht nur entscheiden, ob man studieren darf, sondern auch WAS! Wenn der Fragebogen ergibt, dass man Lehrer werden sollte, dann MUSS man Lehramt studieren. Nur wenn man an eine private Hochschule geht (welche natürlich teuer ist) kann man frei wählen. Das sorgt natürlich für extremen Verdruss bei den Leuten. Der Beruf des Lehrers wurde jedoch stark aufgewertet und ist heute einer der bestbezahltesten im Land. 

Weitere Reformen wurden bei der Polizei vergenommen: Früher verdienten Polizisten sehr wenig und haben sich durch Korruption ihr Gehalt aufgebessert (z.B. willkürliche Verkehrsstrafen). Correa hat das Mindestgehalt von $380 auf $800 mehr als verdoppelt, dafür aber einige Privilegien gestrichen. Dies führte übrigens 2010 zu einer beängstigenden Eskalation. Weil viele in der Polizei ungebildet waren, etliche sogar nicht einmal lesen konnten, glaubten sie Gerüchten der Opposition, dass sie vom Präsidenten mit dem neuen Gesetz übervorteilt würden, und als dieser sich zu einer Kundgebung bei ihnen befand, wurde er von der Polizei als Geisel genommen. Erst eine militärisch Eingreiftruppe konnte ihn später gewaltsam befreien. Bei diesem Ereignis, welches heute als 30-S „treinta-Esse“ (30.September) bekannt ist, starben 5 Personen. Letztendlich wurde das Gesetz verabschiedet und die Aufnahmebedingungen für Polizisten extrem verschärft (und 250 korrupte entlassen), sodass die Polizei heute wesentlich professioneller ist.

Weitere Änderungen betrafen das Gesundheitssystem: viele Dienstleistungen besonders für Arme sind heute umsonst – selbst Operationen von mehreren 1000 Dollar müssen nicht bezahlt werden, Medikamente sind frei.

Das Geld für all das (denn in Ecuador beträgt die Steuer nur 12%) kommt daher, dass die Steuer heute wesentlich stringenter eingetrieben wird – und zwar besonders von den Reichen und Großunternehmen. Viele internationale Konzerne haben früher eine doppelte Buchführung betrieben und einen speziellen Report für Steuerzwecke erstellt. Der sah natürlich immer so aus, dass kaum Steuer fällig wurde. Dies hat die Regierung unter Correa geändert und viele Unternehmen des Landes verwiesen (wie z.B. den Chevron Konzern, mit dem heute noch gerichtliche Auseinandersetzungen über Milliardenzahlungen laufen).

Und schließlich noch eine Neuerung – interessant besonders im Lichte der aktuellen Diskussion um Managergehälter: Als aller erstes Gesetz (noch am Tag seiner Vereidigung) wurde ein Gesetz verabschiedet, welches besagt, dass absolut niemand im Lande ein höheres Gehalt als der Präsident verdienen darf. Das zweite Gesetz lautete: Das Präsidentengehalt wird ab sofort halbiert und beträgt heute $4000 pro Monat. So was ist konsequent.

Was die Leute bei all diesen Verbesserungen jedoch beunruhigt ist, dass die Macht des Präsidenten wächst und sie diktatorische Verhältnisse befürchten. Der Einfluss der Regierung auf die Medien ist sehr stark (Erinnerungen an Italien werden wach). Es gab Vorkommnisse von Medienschließungen bei „unpassender“ Berichterstattung. Und jeder Radio- und Fernsehsender ist verpflichtet jeden Samstag eine Ansprache des Präsidenten zu übertragen. Viele erwarten auch eine Verfassungsänderung, die eine bisher ausgeschlossene vierte Amtszeit ermöglicht.

Interessant ist auch, dass Ecuador unter Correa den USA die Stirn geboten hat. Sie haben ja Julian Assange die Staatsbürgerschaft gewährt (beinahe auch Snowden) und sogar den amerikanischen Botschafter des Landes verwiesen.

Eigentlich wollte ich auch noch was zur Geschichte geschrieben haben, aber ich will den Artikel nicht überstrapazieren ;)
 

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo

deine Abhandlung ist sehr interessant! Man hat ja sonst kaum eine Chance solche Dinge aus erster Hand zu erfahren.
Gehst du jetzt in Banos zur Schule oder ist das unterbrochen?
Wohnst du da auch privat?

Weiter schöne Tage in Ecuador..

Beste Grüße Papa

jh1976 hat gesagt…

Hi,
ja ich bin weiter täglich in einer Sprachschule. Marcelo ist mein Lehrer dort. Und ich bin auch wieder bei einer Familie. Es ist ein recht junges Paar mit 3 erwachsenen Kindern im Haus. Da habe ich wirklich Glück, das ist eine super Konstellation. Es sind übrigens alle Zeugen Jehovas und da gab es schon ein paar interessante Diskussionen ;) Wenn das Internet wieder besser funktionieren sollte, lade ich noch ein paar Artikel und Bilder hoch demnächst.
Grüße und bis bald,
Jens